Corona Reise-Storno: Gutschein statt Rückzahlung
Die Corona-Pandemie stellt die Wirtschaft weltweit und in allen Branchen auf eine harte Probe. Entweder sind Aufträge und Umsatz von Heute auf Morgen in weiten Teilen weggebrochen (bsp. Automobilbranche) oder haben sich in kürzester Zeit vervielfacht (Schutzausrüstung, Bestatter, etc.).
Am härtesten dürfte es jedoch die Tourismus-Wirtschaft getroffen haben. Nahezu alle Länder haben Ausgangssperren verhängt und die Grenzen geschlossen. Als Folge davon werden aktuell alle Reisen storniert. Entweder storniert der Reiseveranstalter, weil eine Durchführung der Reise nicht möglich ist, oder die Airline, weil sie das Land nicht wie geplant anfliegen darf. Zusätzlich sind alle Hotels in Deutschland für touristische Reisen geschlossen.
Dürfen Reiseveranstalter und Airlines Gutscheine anbieten?
Die gesamte Reise-Branche ist von der Corona-Pandemie kalt erwischt worden. Geschäftsmodelle und Prozesse die jahrzehntelang gut funktioniert haben, sind plötzlich hinfällig. Gesetze, die jahrzehntelang respektiert wurden, werden plötzlich anders ausgelegt oder ignoriert. Statt bei einer abgesagten Reise den Reisepreis zu erstatten, werden beispielsweise plötzlich Gutscheine ausgestellt oder ein virtuelles Kundenkonto aufgeladen.
Reiseveranstalter und Fluglinien müssen Reisepreis erstatten!
Es gibt unterschiedlichste Reiseformen, die rechtlich auch ganz unterschiedlich behandelt werden. Für ein gemietetes Ferienhaus mit eigener Anreise gelten andere Gesetze als für ein reines Flugticket, oder für eine Pauschalreise. Die letzteren beiden Fälle sind sicherlich die häufigsten Reisearten in Deutschland, deswegen werde ich diese beiden kurz betrachten. Auch weil die rechtliche Situation hier eigentlich sehr einfach ist.
Rückzahlung vom Reisepreis, wenn der Reiseveranstalter eine Pauschalreise storniert
Wenn der Reiseveranstalter eine Pauschalreise storniert, dann muss er den Reisepreis innerhalb von 14 Tagen erstatten. Geregelt ist das in §651h im BGB:
Tritt der Reiseveranstalter vom Vertrag zurück, verliert er den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis.
(5) Wenn der Reiseveranstalter infolge eines Rücktritts zur Rückerstattung des Reisepreises verpflichtet ist, hat er unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt zu leisten.
Reiseveranstalter haften verschuldensunabhängig. Warum eine Pauschalreise abgesagt wurde, spielt bei der Erstattung daher keine Rolle.
Bei reinen Flugtickets ist die Lage vergleichbar, wobei hier die Frist für die Erstattung vom Flugpreis noch kürzer gefasst ist.
Rückzahlung vom Flugpreis, wenn die Airline einen Flug storniert
Wenn die Airline einen Flug storniert, dann muss sie den Flugpreis innerhalb von 7 Tagen erstatten. Geregelt ist das in der Fluggastrechte-Verordnung:
Artikel 5: Annullierung
- Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen
- vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten
Artikel 8: Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung
- Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen
- – der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit
Artikel 7: Ausgleichsanspruch
- Die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 erfolgen durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen.
Die Fluglinien weichen dabei auf durchaus kreative Möglichkeiten aus, wie Sie den Kunden dazu bringen, keine Rückzahlung zu fordern. Entweder ist die eMail-Adresse deaktiviert (Expedia), es gibt wichtigere Themen (Swiss), die Mitarbeiter sind im Homeoffice (Ryanair), oder ähnliches.
Warum weichen Reiseveranstalter und Airlines auf Gutscheine aus?
Da die rechtliche Lage sehr klar ist, kommt man nun natürlich auf die Frage, warum Reiseveranstalter und Airlines keine Rückzahlungen vornehmen, sondern Gutscheine ausgeben. Wenn man sich in der Branche auskennt, ist die Antwort ziemlich einfach.
Große Teile der Flugpreise sind fix, auch wenn nicht geflogen wird
Generell bestehen Flugpreise aus verschiedenen Komponenten:
- netto Flugpreis
- Steuern, Sicherheitsgebühren, Kerosinzuschlag, etc.
Auch wenn Flugzeuge nicht fliegen, fallen Kerosinkosten an. Airlines sichern sich Monate im Voraus günstige Einkaufspreise fürs Kerosin und müssen diese Mengen dann auch abnehmen. Aktuell ist der Ölpreis auf einem historischen Tiefpunkt und die Airlines benötigen kein Kerosin. Trotzdem müssen Sie das bereits vor Monaten gesicherte Kerosin abnehmen.
Dazu kommt, das große Teile des Flugpreises mit Fixkosten verplant sind:
- Abschreibungen
- Wartung
- Leasingverträge
Alle Airlines weltweit sind so „auf Kante genäht“, das ein permanenter Cash-Flow benötigt wird, um die Unternehmen am Leben zu halten. Ohne diesen Cash-Flow und permanente Flüge stehen die Airlines auf der Kippe. Lufthansa benötigt aktuell ca. 1 Million Euro pro Stunde. Wenn die Airlines nun zum ausbleibenden Cash-Flow noch zusätzlich Ticketkosten erstatten, beschleunigt das die finanzielle Misere ganz massiv.
Reiseveranstalter haben die Gelder bereits weitergeleitet
Bei Reiseveranstaltern stellt sich die Lage völlig anders dar. Überlegen wir einmal, wie sich der Preis einer ganz einfachen Pauschalreise zusammensetzt, die über ein Reisebüro (online oder stationär spielt keine Rolle) vermittelt wird:
- Flugticket
- Transfer vom Flughafen zum Hotel
- Hotelübernachtungen
- Verpflegung im Hotel
- Ausflüge
- Transfer vom Hotel zum Flughafen
- Marge vom Reiseveranstalter
- Provision für das Reisebüro
In der Regel verlangen die unterschiedlichen Leistungsträger (Fluglinie, Hotel, Agentur im Zielland, etc.) eine Zahlung bevor der Kunde anreist. Sofern es Rückzahlungen gibt (auch Reiseveranstalter bekommen von Fluglinien nur Gutscheine), dauern diese Wochen oder Monate oder erfolgen in Form einer Gutschrift für die kommenden Buchungen (Agenturen im Zielland).
Reiseveranstalter haben eine soziale Verantwortung im Zielland
Reiseveranstalter haben außerdem eine soziale Verantwortung im Zielland. Gerade in so genannten „Entwicklungs- und Schwellenländern“ sind Beschäftigte im Tourismus oftmals überdurchschnittlich gut bezahlt und ernähren teilweise Familien mit mehreren Generationen. Eine soziale Absicherung haben die wenigsten dieser Mitarbeiter, da es solche Systeme in den meisten Ländern kaum gibt. Zusätzlich sind Mitarbeiter wie Guides und Fahrer in aller Regel als „Freelancer“ angestellt und werden nur von Auftrag zu Auftrag bezahlt. Die aktuelle Situation sorgt nun dafür, das ganze Familien plötzlich ohne Einkommen dastehen.
Auch wenn Reiseveranstalter rechtlich die Möglichkeit hätten, bereits geleistete Zahlungen aus den Zielländern wieder abzuziehen, versuchen sie das in aller Regel zu vermeiden, um die Not vor Ort nicht noch zu verschlimmern.
Die Marge vom Reiseveranstalter ist der kleinste Anteil an der obigen Auflistung. Dazu kommt, das mit dieser Marge die Mitarbeiter bezahlt werden müssen, die Büromiete, die Software/IT/Hardware, Versicherungen, etc.
Wenn es nun zu einer massiven Stornowelle kommt und diese auf Grund der unklaren Situation von ausbleibenden Neubuchungen begleitet wird, gibt es beim Reiseveranstalter eine gigantische Finazierungslücke.
Reiseveranstalter und Bundesregierung für Reisegutscheine
Um diese gigantische Finanzierungslücke zu überbrücken, fordern nun praktisch alle Reiseverbände eine Lösung um die aktuelle gesetzliche Regelung zu umgehen. Zahlreiche europäische Länder haben bereits reagiert und die Möglichkeit eröffnet, das der Reiseveranstalter Gutscheine anstelle von Bargeld ausgibt. Auch die Bundesregierung unterstützt diese Lösung.
Gutscheine? Und wenn der Reiseveranstalter insolvent wird?
Mit einem Reisegutschein geben die Kunden dem Veranstalter praktisch einen Kredit. Sollte der Reiseveranstalter zwischenzeitlich seinen Betrieb einstellen, wäre der Gutschein theoretisch nichts mehr wert. Doch auch hier wird an einer Lösung mit abgesicherten Gutscheinen gearbeitet.
Ohne Gutscheine wird es unzählige Insolvenzen geben
Wenn sich die Bundesregierung nicht auf eine Gutscheinlösung gemeinsam mit den Reiseverbänden einigen kann, werden hunderte von kleinen und mittleren Reiseveranstaltern in die Insolvenz rutschen. Sollte das passieren, gibt es einerseits eine gigantische Welle von Arbeitslosen und andererseits bleiben hunderttausende Kunden auf Ihren Zahlungen sitzen ohne eine Reise oder einen Gutschein zu bekommen.
Reisepreissicherungsschein ist aktuell nahezu wertlos
Eigentlich sind die Kundengelder (Anzahlungen und Vorauszahlungen) bei Pauschalreisen über den Reisepreissicherungsschein abgedeckt. Diese Versicherung muss jeder Reiseveranstalter verpflichtend haben. Doch diese Sicherungsscheine sind begrenzt, hier einmal stellvertretend die R&V:
Was diese niedrige Begrenzung verursacht hat die Thomas Cook pleite gezeigt. Die Versicherungssumme genügt nicht und der Steuerzahler springt ein.
Es gibt in Deutschland vier Kundengeldabsicherer, insgesamt sind also 440 Millionen Euro abgesichert. Der DRV schätzt den Schaden alleine in den ersten Wochen bis Ende April auf ca. 4,8 Milliarden Euro. Was die Sicherungsscheine bei der aktuellen Lage und ohne Anpassung der Gesetze wert sind, kann also jeder selbst ausrechnen.